Glenn Greenwald - Die globale Überwachung

Das Buch “Die globale Überwachung” von Glenn Greenwald habe ich in Zürich gekauft. Nach einer internationalen Konferenz blieb mir dort am Samstag etwas Zeit um in einer Buchhandlung bei der Heimstrasse, glaube ich, nach interessanten Büchern zu suchen. Dieses Buch lag neben einigen weiteren Bücher zu dem Thema Überwachung durch die NSA. Die Autoren der anderen Bücher waren jedoch nicht in den Fall Snowden und der Veröffentlichung seiner Informationen involviert. Sie sind die typischen Trittbrettfahrer, die auf das spannende Thema aufgesprungen sind und versuchen daraus Kapital zu schlagen. Glenn Greenwald ist aber der Journalist, dem Snowden vertraute, ihm seine Geschichte erzählte, NSA Dokumente übergab und ihn ersuchte, das ganze professionell für die Öffentlichkeit vorzubereiten und zu veröffentlichen. Das Buch versprach also einen Bericht aus erster Hand.

Warum entschloss sich Snowden für Greenwald? Greenwald ist ein ehemaliger Rechtsanwalt, der aber seit Jahren als ein unabhängiger Journalist arbeitet. Der in Brasilien lebende Greenwald setzt sich für die Bürgerrechte und für mehr Kontrolle der Behörden ein. Besonders stark tritt er gegen die scheinbare Argumentation der Regierung auf, dass nach dem 11 September der Kampf gegen die akute Bedrohung durch Terrorismus viel mehr Befugnisse für die Geheimdienste erfordert. Befugnisse, die eindeutig die bis jetzt geltenden bürgerlichen Rechten zum Schutz der Privatsphäre verletzen. Greenwald schrieb schon seit Jahren kritisch über die NSA. Greenwald ist tief davon überzeugt, dass eine unkontrollierte Ansammlung von Macht früher oder später zu missbräuchlichen Verwendung führt. Er schreibt - “Zu erwarten, dass die amerikanische Regierung unter vollständiger Geheimhaltung eine riesige Überwachungsmaschine unterhält, ohne ihren Verlockungen zu unterliegen, widerspricht einfach die Erfahrungen der Geschichte und der menschlichen Natur”. Dagegen gibt es nur ein gutes Mittel - Transparenz. Somit war Greenwald für Snowden genau der Mann, den er brauchte, um mit seinen Enthüllungen an die Öffentlichkeit zu gelangen.

Nachdem ich, wie schon gesagt, an diesem Samstag viel Zeit hatte, verbrachte ich einen schönen, sonnigen Nachmittag am Ufer des Zürcher See mit eben diesem Buch von Greenwald in der Hand. Im ersten Teil des Buches beschreibt Greenwald die Geschichte seines Treffens mit Snowden und die hektischen Gespräche und Vorbereitungen, die der Veröffentlichung vorausgegangen sind. Es ist ein Tatsachenbericht. Dieser Teil ist sehr gut und spannend geschrieben. Ich las es in einem Kaffeehaus direkt beim See, umgeben von Unmengen an Zürcher-Familien, die in großen Scharen mit Kindern, Omas und Hunden den wunderschönen, warmen Tag neben mir genossen. Ich las es fast ohne Unterbrechung und erlebte, Greenwald folgend, seine aufregenden Diskussionen mit Snowden in Hongkong.

Natürlich habe ich mich schon voriges Jahr intensiv mit dem Fall Snowden befasst. Seine Enthüllungen waren überall zu lesen und führten zu heftigen Diskussionen. Ich kannte die meisten Informationen schon auswendig, dachte jedoch, dass ein Bericht aus erster Hand, in dem die Fakten und Ereignisse in einer geordneten Struktur und authentisch durch den voll involvierten Zeugen dargelegt wurden, für mein besseres Verständnis dieses Falles und die sich daraus ergebenden Implikationen für uns als freie Gesellschaft und für jeden einzelnen von uns als potentielles Opfer der Überwachung nützlich sein wird. Am Rande dachte ich auch, dass Greenwalds Mut eine kleine Anerkennung von mir verdient hat und bezahlte gerne die 32 Schweizer Franken für dieses Buch.

Für mich gänzlich neu war die Darstellung der Gespräche Greenwalds mit der Redaktion des Guardian. Guardian war vom ersten Moment, als Greenwald die Zeitung kontaktierte und ihnen das Material angeboten hat, an einer Veröffentlichung interessiert. Guardian's Chefredakteurin erkannte jedoch sofort die Brisanz und Gefahr, die so eine Publikation mit sich bringt. Es folgten dann unzählige Beratungen mit Anwälten. Um den Vorwurf aus dem Weg zu gehen, die Veröffentlichung dieser Dokumente gefährde die nationale Sicherheit, wurde auch die Regierung und die NSA kurz vor der Publikation darüber informiert. Washington Post, die diese Informationen sogar vor dem Guardian angeboten bekam, wollte zuerst auf die Publikation verzichten. Washington Post wollte ihre regierungstreue Position nicht aufs Spiel setzen und wegen Landesverrats angeklagt werden. Erst als Washington Post über Guardians Publikationspläne erfuhr - und diese Information bekamen sie wahrscheinlich von einem hohen Regierungsbeamten! -, hat sie auch einen Artikel über PRISM veröffentlicht. Dass die Washington Post, neben Guardian, den Pulitzerpreis 2013 für mutigen Enthüllungsjournalismus bekam, scheint aus der Perspektive des Berichts von Greenwald nicht wirklich verdient zu sein.

Greenwald und Snowden ging das alles zu langsam. Sie wollten nicht warten. Snowden wollte unbedingt in die Öffentlichkeit gehen und seinen Namen als Informant bekannt geben, bevor die Regierung ihn entdecken und als Verräter gebrandmarkten konnte. Greenwald hat sogar überlegt, die Veröffentlichung ohne Guardian selbst durchzuführen. Ihm war jedoch klar, dass er ohne Schutz einer großen Zeitung mit ihren Anwälten, Kontakten und Möglichkeiten extrem schwer unter Beschuss geraten würde.

Ein zweiter interessanter Aspekt ist die Motivation von Greenwald und Snowden für so eine Tat. Was hat sie dazu bewegt? Vor allem für Snowden müsste es klar gewesen sein, dass er als Verräter das schlimmste zu befürchten hat. Es müsste für ihn klar gewesen sein, dass er kein normales Leben mehr führen wird können und mit großer Wahrscheinlichkeit im Gefängnis den Rest seines Lebens verbringen wird. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass er glauben konnte, die Amerikaner werden ihn als Held feiern. Letztendlich, um die Gesetzesverletzungen anderer und die gängige, nicht bekannte Praxis der Überwachung und Bespitzelung einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, brach er selbst die geltenden Gesetze. Für Snowden ist Demokratie ein sehr wichtiges Gut. Er nahm Anleihen bei der römischen Republik, indem er den Codenamen Cincinnatus benutzte - Cincinnatus war ein römischer Bauer, der für kurze Zeit als Diktator Roms ernannt wurde und gleich nach dem Sieg über die Gegner Roms sein Amt niederlegte. Er zitierte auch gerne den berühmten Satz von Thomas Jefferson - “lasst uns daher in Fragen der Macht nicht mehr von Vertrauen auf den Menschen hören, sondern haltet ihn durch Ketten der Verfassung von Unheilstiftung ab”. Greenwald schreibt ausführlich über seine und Snowden's Motivation. Snowden hat über seine Tat offensichtlich lange vorher nachgedacht. Snowden selbst formulierte seine Beweggründe so - “wenn für einen Augenblick offengelegt wird, welches Konglomerat aus geheimen Absprachen, willkürlich gewährter Straffreiheit und überbordender Exekutivbefugnisse die Welt, die ich liebe, beherrscht, dann bin ich zufrieden.”

Greenwald schreibt sehr viel über Sicherheitsvorkehrungen, zu denen Snowden ihn verpflichtet hat. Snowden, gut wissend was möglich ist, wollte nicht abgehört werden. Er kommunizierte mit Greenwald nur über verschlüsselte Kanäle. Er weigerte sich Greenwald Informationen zu geben, solange er nicht die nötige Verschlüsselungssoftware installiert hat. In Summe wirken jedoch die von Greenwald beschriebenen Maßnahmen etwas punktuell und kindisch. Laura Poitras, die mit Greenwald gemeinsam gearbeitet hat und den ersten Kontakt zu Snowden hatte, übergab Greenwald im Taxi ein USB-Stick mit allen NSA Dokumenten. Das geschah noch in den USA, bevor sie gemeinsam nach Hongkong flogen, um dort Snowden zu treffen. War es nicht Leichtsinn? Bei einer Kontrolle am Flughafen hätte ja alles aufliegen können.

In Hongkong nahm Greenwald und Poitras Kontakt mit Snowden auf. Sie arbeiteten mit ihm gemeinsam an der Vorbereitung der Publikation. Gleichzeitig kontaktierte Greenwald etliche Redakteure des Guardian, um die Publikation in die Wege zu leiten. Viele Personen, Redakteure, Anwälte und zuletzt auch die Beamten der Regierung, haben über die geplante Veröffentlichung Bescheid gewusst. Das Material wurde laufend an mehreren Tagen veröffentlicht. Während dieser Zeit gab Greenwald den Fernsehstationen mehrere Interviews. Er traf sich auch täglich mit Snowden. Wäre es nicht ein leichtes Spiel für die mächtigste Spionageorganisation der Welt, die Identität Snowdens festzustellen, ihn als Verräter anzuklagen und eine Auslieferung in die USA zu beantragen? Damit hätten sie den Plan der Aufdecker durchkreuzt und die Wirkung der veröffentlichten Information stark gemildert - nach den ersten Publikationen beschäftigte sich die Öffentlichkeit ausschließlich nur mit den gesetzeswidrigen Taten der NSA, der Informant stand gar nicht im Vordergrund. War die NSA also tatsächlich derart massiv über die Enthüllungen überrascht und kannte die Identität des Informanten vor der Bekanntgabe durch den Guardian nicht? Es ist kaum vorstellbar oder diese Organisation ist doch nicht so mächtig wie wir das annehmen?

Ich kann allen Greenwald's Buch empfehlen. Es ist ein spannendes, gesellschaftspolitisches Thema, das sich wie ein guter Krimi liest. Über die Folgen der Enthüllungen Snowden's sollte jeder von uns nachdenken.


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