Community Surveillance and Contact Tracing

Es gibt inzwischen gute Ansätze für die neue „Normalität“ nach dem Peak der Coronavirus-Pandemie. Wie ich schon in einem vorherigen Post[1] erwähnt habe, brauchen wir unbedingt eine gute Methode, um neue Corona-Infektionen zu entdecken und alle Betroffene (infizierte Person sowie alle anderen Personen, die mit ihnen Kontakt hatten) schnell zu isolieren. Ansonsten droht uns ein neuer Ausbruch der Epidemie.

Diese Idee ist inzwischen auch in Europa präsent und es gibt einige Ansätze für die Lösung des Problems. Wir müssen uns an viele neue bis vor kurzem völlig unbekannte Begriffe wie „Tracking-Apps“, Community Surveillance and Contact Tracing“, „Contact Tracing and Quarantine (CTQ) Technologies“ oder „Digital Herd Protection” gewöhnen.

Wie Anthony Costello, Professor of global health at UCL, in einem Guardian-Artikel[2] schreibt, sind die jetzigen Isolations- und Testing-Maßnahmen nur kurzfristig wirksam:

„Without a programme of community surveillance and contact tracing, the virus will continue to spread. … Social distancing alone won’t work. You can stop contact tracing in the hotspots, but when you lift the lockdown, everywhere at the same time, you’ll face a problem: the virus will come back. New hotspots will form.”

Wir brauchen also eine Lösung für Community Surveillance (eine Methode zur Identifikation infizierter Personen und Überwachung der Einhaltung der Quarantäne) und Contact Tracing (Verfolgung der Kontakte einer infizierten Person). Für Contact Tracing entstehen gerade recht viele Applikationen, die auf asiatischen Erfahrungen basieren. In UK entwickelt man gerade eine NHSX[3] App, die in 3 bis 4 Wochen fertig sein sollte. Die NHSX App sollte nur freiwillig benutzt werden – kein Zwang zur Verwendung wie in Asien. In UK ist man der Meinung, dass man das Virus unter Kontrolle halten kann, wenn eine ausreichende Menge von ca. 60% der Menschen solche Apps benützt:

“Around 60% of the adult population would need to sign up and engage with the app by registering their symptoms or positive test results for it to be effective. Their proximity to other users would be logged, and they would follow advice given in alerts to self-isolate – even in cases where they were not aware of having been in contact with someone infected.”

Eine andere Contact Tracing App gibt es schon in Österreich – Stopp Corona App[4]. Diese App wurde von Accenture Österreich im Auftrag vom Österreichischen Roten Kreuz entwickelt. Derzeit erfolgt die Erfassung der Kontakte manuell, was natürlich für die effiziente Bekämpfung des Virus viel zu langsam ist – das Virus verbreite sich dafür zu schnell. Eine Erweiterung um die automatische Erfassung von Kontakten (Bluetooth scannen) ist schon in der Entwicklung. Auch die Stopp Corona App ist für freiwillige Nutzung vorgesehen. Solche Apps, die Freiwillig von Bürger zu installieren und zu benützen sind, sind aus Sicht des Datenschutzgesetzes unbedenklich. Der Nutzer gibt dem Betreiber der App seine Einwilligung für die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten. Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung ist durch Einwilligung erfüllt – Artikel 6 Abs 1 a). In Österreich gibt es aber schon seitens Politik Stimmen für eine verpflichtende Nutzung dieser App. Leider wird sie wenig sachlich geführt. Es überwiegen die emotionale Argumente.

Es gibt auch ähnliche Entwicklungen in vielen anderen Länder. Die Contact Tracing Apps werden im Auftrag von Gesundheitsbehörden, Regierungen oder Non-Government Organisationen entwickelt.

Eine sehr gute Übersicht der derzeit schon verwendeten Lösungen für Contact Tracing and Quarantine (CTQ) Technologie bietet die Studie „Pandemic Mitigation in the Digital Age - Digital Epidemiological Measures to Combat the Coronavirus Pandemic“[5], die Ende März von „The Hague Centre for Strategic Studies“ & „The Austrian Institute for European and Security Policy“ verfasst wurde. Diese Studie umfasst, neben der Analyse der vorhanden Contact Tracing Apps, die wichtigsten Aspekte, die bei der Entwicklung solcher Apps berücksichtigt werden müssen. Die Analyse erfolgte unter Berücksichtigung der Datenschutz-Prinzipien. Angesicht der kritischen Lage wurde dabei auch das Prinzip „Data for the Common Good“ angewendet.  Die Autoren der Studie empfehlen
  1. Consider, where not already adequately provisioned for in existing law, new legal provisions to better be able to use data and ICT to combat the present coronavirus pandemic.
  2. Support the deployment of voluntary, user-controlled self-identification mobile phone apps
  3. Continue the use of anonymized mobile network telecommunications data to evaluate general trends in the epidemiological spread and general population movements (i.e.“heat maps”).
  4. Evaluate digital procedures to support self- and legally mandated quarantines.
  5. Prepare European measures to allow for inner-Schengen movement and international travel in and out of the Schengen zone.
  6. Explore new big data management provisions at European level that, in consideration of existing legislation.
  7. Consider, at all levels of government, new forms of multistakeholder consultation that will explore all relevant data and ICT aspects.

Besonders wichtig für Europa ist die Empfehlung 2: Nutzung der anonymisierten und von dem Nutzer kontrollierten mobilen Apps. Angesicht der großen Bedenken gegenüber staatliche Überwachung ist dieses Prinzip entscheiden für den Erfolg der Kontrolle der Verbreitung von Corona-Virus. 

Die Vielfalt der Contact Tracing Apps lässt unterschiedliche Ansätze und Lösungsmethoden ausprobieren. Wir brauchen hier sicherlich große Flexibilität, um aus den gesammelten Daten notwendige Verbesserungen abzuleiten. Die meisten im Rahmen der staatlichen Grenzen erdachten Apps werden aber absolut nutzlos, wenn wir wieder ins Ausland reisen können. Dafür benötigen wir Lösungen, die länderübergreifend funktionieren.

Ein Team von rund 130 Mitarbeitern aus 17 Instituten, Organisationen und Firmen in Europa hat soeben ein sehr interessantes Konzept für eine länderübergreifende Contact Tracing Plattform vorgeschlagen – Pepp-Pt.

Pepp-Pt[6] (Pan European Privacy Protecting Proximity Tracing) bietet keine Contact Tracing App an. Pepp-Pt hat ein Konzept für solche Apps und die dafür notwendigen Schnittstellen entwickelt. Pepp-Pt bietet neben dem Konzept auch eine "Referenzimplementierung" an. Es wird auch Quellcode der Lösung und der gesamte technologische Unterbau ("Backend") sowie eine Rumpfversion einer App zur Verfügung gestellt.

Das Konzept sieht vor, dass die Kontakte durch Bluetooth Scanning automatisch erfasst werden. Die Benutzerdaten sind jedoch anonymisiert – jeder Benutzer bekommt eine ID und nur diese ID wird dann den Kontakten bekanntgegeben. Alle erfassten Daten verbleiben auf dem Smartphone des Benutzers. Es gibt keine zentrale Datenbank in diesem Konzept. Somit erfüllt das Konzept die Auflagen des Datenschutzgesetzes[7].

Das Konzept ist offen für unterschiedliche Apps, vorausgesetzt, sie halten sich an die definierten Verfahren und Protokolle. Die Lösung ist international (kein nationaler Alleingang) konzipiert, was uns wieder die Reisefreiheit zurückbringen wird. Jede App, die dabei sein will, muss zunächst durch Pepp-PT zertifiziert werden, um den Missbrauch vorzubeugen

Das Pepp-Pt Konzept sieht vor, das die Nutzung der App freiwillig ist. Wir werden demnächst sehen, ob die Bürger ausreichend Eigenverantwortung zeigen und die Pepp-Pt zertifizierte Apps tatsächlich nutzen. Die Meldung der Infizierung darf der Nutzer aber selbst nicht machen. Diese Berechtigung bekommen nur offizielle Gesundheitsämter.

Mehr Informationen über das Pepp-PT Konzept kann man in dem Manifesto[8] nachlesen.

Die enorme Beschäftigung mit der Coronavirus-Pandemie, die internationale Zusammenarbeit und unglaubliche Innovation lassen hoffen, dass wir bald die Corona-Krise in den Griff bekommen und unser Leben sich teilweise wieder normalisiert. Die Contact Tracing Apps werden sicherlich dazu einiges beitragen.



[1] Mein Post über die notwendigen Maßnahmen in der neuen „Normalität“: https://sicheresleben.blogspot.com/2020/03/auswertung-der-bewegungsdaten-fur.html
[2] Artikel von Professor Anthony Castello über Community Surveillance and Contact Tracing in Guardian: https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/apr/03/matt-hancock-government-policy-herd-immunity-community-surveillance-covid-19
[4] Österreichische Contact-Tracing App: https://www.roteskreuz.at/site/faq-app-stopp-corona/
[5] Klimburg A et al. (2020) Pandemic Mitigation in the Digital Age: Digital Epidemiological Measures to Combat the Coronavirus Pandemic, Report published by The Hague Centre for Strategic Studies (HCSS) & The Austrian Institute for European and Security Policy (AIES). Available from https://hcss.nl/report/pandemic-mitigation-digital-age (accessed 6 April 2020).
[6] Pan European Privacy Protecting Proximity Tracing: https://www.pepp-pt.org
[7] Spiegel Artikel über Pepp-PT: https://www.spiegel.de/netzwelt/apps/corona-warn-app-fuer-europa-pepp-pt-setzt-auf-bluetooth-datenschutz-und-freiwilligkeit-a-5e52dbb2-5553-492b-a04a-6f598f8b9205
[8] Pepp-Pt Manifesto: https://404a7c52-a26b-421d-a6c6-96c63f2a159a.filesusr.com/ugd/159fc3_878909ad0691448695346b128c6c9302.pdf

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